Sonntag, 20. September 2020

Zwerge im Kopf

 

Endlich! Der Moment, in dem die Psychiaterin mir die Diagnose ADS/ ADHS mitteilte, hat sich in meinem Gedächtnis eingebrannt. Er war wie eine Offenbarung für mich. Endlich! wusste ich, dass ich normal bin, bloß anders.

Niemals zuvor hat mich eine Diagnose dermaßen erleichtert. Außer der Nachricht, dass ich ein Kind erwartete.

Tränen liefen. Ich war glücklich, tatsächlich. Weil ich der sachlich-einfühlsamen Psychiaterin vertraute, wusste ich, dass mir nun endlich geholfen werden konnte.

Mit Medikamenten gehe ich sehr achtsam und vorsichtig um; die von der Ärztin vorgeschlagene und verschriebene Medikation habe ich sofort und vorbehaltlos angenommen.

Seit April diesen Jahres nehme ich nun täglich eine individuelle Dosis des verordneten Medikaments ein. Schon nach kurzer Zeit waren grundlegende Veränderungen zu spüren. Ich habe meine Gedanken und mein Verhalten beobachtet und gemerkt, um wie viel ruhiger es in meinem Kopf wurde. Wo zuvor Unordnung und Wirrwarr herrschten, kehrten Ruhe und ungekannte Klarheit ein. Ganz von selbst.

Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich über viele Jahre hinweg das Gefühl gehabt, dass unzählige kleine Zwerge mit Hacken ständig in meinem Kopf arbeiteten. Wie in einem Bergwerk rumorte es ohne Unterbrechung. Die Gedanken rauschten immerzu, selten kamen sie zur Ruhe.

Was ich im Laufe des Tages klären und beruhigen konnte, zerhackten die Zwerge am nächsten, alles begann von neuem. Die unablässige Unruhe ließ nicht nach, nie.

Nach Beginn der Tabletteneinnahme merkte ich nach etwa einer bis zwei Wochen, dass sich etwas änderte. Ich konnte meine Gedanken strukturieren, keine Zwerge mehr. Es fühlte sich an wie offene, unordentliche Schubladen, die eine nach der anderen in Ordnung kamen und geschlossen wurden. Ich kam zur Ruhe! Diesen Zustand kannte ich sonst nur, wenn ich mich jeden Tag neu unter enormer Anstrengung selbst zur Ordnung rief und versuchte, mich zu disziplinieren. Das kostete unglaublich viel Kraft.

Was für eine Erleichterung es war, jetzt durch ein Medikament unterstützt zu werden, kann ich kaum beschreiben. Es war so mühelos, ich fühlte mich wie neu.

Inzwischen habe ich gelernt, dass ADS/ ADHS eine der am einfachsten zu behandelnden psychiatrischen Störungen ist. Ich kann diese Erkenntnis durch eigene Erfahrung absolut bestätigen.

Der Weg bis zu dieser Erkenntnis war lang und sehr belastend, er begann für mich mit 16 Jahren. Das Schlimme war, dass ich immer alleine war und den Leidensdruck irgendwie bewältigen musste.

Über meine Beweggründe, nach so vielen Jahren Hilfe zu suchen, und die zum Teil leidvollen Erfahrungen werde ich von nun an in einem wöchentlichen Beitrag berichten.